interfiction XII/2005 Learning from...?
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22. Kasseler
Dokumentarfilm- &
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Birte Kleine-Benne


abstract:

Kunst in Zeiten von Medien- und Cyberpoiesis

In zeitlichem Anschluss an die Entdeckung der Form-Außenseite und die konzeptuellen und kontextsensitiven Kunstuntersuchungen in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren (Konzept-Kunst) und an die intensiven Kontextanalysen der neunziger Jahre (Kontext-Kunst) sind aktuell wesentliche Kontextveränderungen etwa in Form technischer Umgebungen zu diskutieren, die von veränderten Codierungen bestimmt in Wirksamkeit ihrer Architektur und Prinzipien die Organisation von Kunstproduktionen (aber auch die der Kunstrezeption, -präsentation und -distribution) entscheidend beeinflussen.
Vor dem Hintergrund des Prozesses einer zunehmenden Verschränkung von kulturellem Austausch, technologischer Entwicklung und künstlerischen Praktiken ist die Einschreibung einer Umgebung zu beobachten, deren implementierten Prinzipien (etwa Dezentralität, Translokalität, Interkonnektivität und Unabgeschlossenheit) und technologische Struktur ihre Wirkung i.S. nicht nur einer maschinischen Ästhetik 1 , auch einer technisierten Ästhetik entfalten:
"Wir müssen unsere Matrix neu definieren und zu diesem Zweck neu erkunden." 2

Mit Einsatz und Anwendung der Technologien 3 sind umfangreiche Transformationen in allen Funktionssystemen der Gesellschaft angestoßen und in der Folge tiefgreifende Konsequenzen zu registrieren, die nicht nur neue Möglichkeiten individualisierten Handelns lassen - neue Handlungsräume, Handlungsmodalitäten und Handlungsformen, zu denen sich wiederum ethisch-moralische Grundlegungsfragen einstellen -; vielmehr sind Subjektivierungsprozesse, Wahrnehmungs- und Kognitionsprozesse überarbeitend in Angriff genommen und werden epistemologische Verschiebungen, beispielsweise anhand der Begriffe von Arbeit, Eigentum, Geschlecht, auch von Politik und Gesellschaft deutlich. Ich behaupte, dass insbesondere das Netz (als Mitte, Mittel, Vermittlung und Vermitteltes 4 ) und eine auf Netzkonditionen aufsetzende Kunst, die über den digitalen Code, über Inhalts- und Gemeinschaftsregeln des Internets hinausgeht und offene und gestaltbare Handlungsfelder aufspannt, in denen sich konkrete und medienspezifische Aktions-, Kooperations- und Handlungsformen herausbilden, aktuell als diejenige katalytische Kraft eingeschätzt werden kann, die kulturelle, soziale und ökonomische Systeme beeinflusst, materielle, technologische, psychologische Entgrenzungen vornimmt und umfangreiche Entdualisierungsprozesse in Gang setzt. Die Netzmedialisierung löst eine Transformations-Dynamik aus (Weber 5 kennzeichnet das Netz als "Turbo-Transformator" 6 .), die das gesamte Gesellschaftssystem, dessen Strukturen und Organisationen in Angriff nimmt; bisherige Begriffe, Modelle und Konzepte verlangen in der Folge eine Korrektur und/oder Revision.

Für das hier zu diskutierende Kunstsystem soll die Transformation des Konzepts des geschlossenen Systems der Moderne (Luhmann) mit seinen isolierten, einsamen, fragmentierten und auratisch aufgeladenen ästhetischen Kunstobjekten zu einer Ansammlung und Verkettung offener und wandlungsfähiger Handlungsfelder interessieren, die Forschungsdesiderate bisheriger kunstwissenschaftlicher Betrachtungen von "[...] Gemälde[n], Skulpturen, Installationen - Bezeichnungen, die den Kategorien der Meisterschaft und der Welt der Produkte entsprechen [...]" 7 , offenbart. Bei den zu diskutierenden hybriden Formen handelt es sich u.a. um konnektive, trajektiv ausgerichtete Aggregationen menschlicher und technischer Akteure, die von netzwerkbasierten, heterarchisch verteilten Dispositiven bestimmt sind, die bestimmenden Codes aus Rekombinationen und Neuformationen z.B. sozialer, wirtschaftlicher und digitaler Codes generieren und auf die gesellschaftlichen Prozesse in Form von (Netzwerk-) Interventionen einwirken. Die Arbeiten, über die hier Auskunft gegeben werden soll, sind demnach nicht dem Dispositiv des White Cube verhaftet; "[...] sondern einfache Oberflächen, Räume, Dispositive , die sich mit Existenzstrategien verschachteln [...]" 8 ; statt um repräsentierende Visualisierungen handelt es sich um operative Eingriffe in die Protokolle der gesellschaftlichen Prozesse: Einige Beispiele:
-etoy [http://www.etoy.com]
-Hans Bernhard [ http://hansbernhard.com ] und ubermorgen.com [ http://www.ubermorgen.com ]
-GeheimRat.com [ http://www.geheimrat.com ].

Insbesondere die Bedeutungen von Multi- und Interdisziplinarität, von Aktivität und Interaktivität sind eng an die Medientechnologien als Leitmotiv und intervenierende soziale, politische und kulturelle Maschine gebunden. Als Effekt der Digitalisierung bringt die heterogene Kombination von Bild, Ton und Text multimediale Werke und die Technik des Samplings hervor, die den Werkbegriff und die Aufteilung künstlerischer Gattungen unterwandern 9 und elementar urheberrechtliche Auswirkungen nach sich ziehen 10 . Der Computer zeigt sich als idealer Ort für die Kombination und Hybridisierung verschiedener Techniken. Die Regeln der Software und die Technik des Interface verlangen - auch wenn sie den Handlungsrahmen vorgeben - dem Nutzer (User) Interaktion ab und tragen zur Herausbildung neuer Partizipations- und Kollaborationsmodelle bei. In rezeptionsorientierter Betrachtung entstehen reaktive, interaktive, partizipative und kollaborative Kunstwerke, die den Rezipienten u.a. zum Schreiben, Sprechen, Imaginieren, Wahrnehmen und Bewegen bringen: "Dem User, der Userin wird eine (vorgestaltete) Plattform oder ein Rahmensystem zur Verfügung gestellt, die er, sie für seine/ihre eigene Zwecke benutzen kann. Die KünstlerInnen geben also einzig den Anfangsimpuls; Struktur, Entwicklung und Veränderung des 'Kunstwerkes in Bewegung' (Umberto Eco) ist danach einzig abhängig von den Entscheidungen einzelner bzw. vieler UserInnen." 11 Arns 12 führt aus, dass die Praktiken sog. kleiner bzw. taktischer Medien 13 (Mailinglisten, Newsgroups, Webseiten, Chats) "nicht nur die Fähigkeit zu (passivem) Lesen, sondern vor allem zu (aktivem) Schreiben in die Hand der Nutzer [legen]" 14 und sich daraus neue Verhältnisse und Strukturen ergeben, "die als viel versprechendste nichttechnische Neuerungen der aktuellen Wissensordnung gelten können" 15 .

Der Fokus meiner Ausführungen umfasst auf der Grundlage veränderter Möglichkeitsbedingungen für Formen der Mixed Media in komplexen Komposita zuvorderst den gewandelten Kunstbegriff und die veränderte Produktion und Rezeption von Kunst in Zeiten von Medien- 16 und Cyberpoiesis 17 sowie beiläufig die Auswirkungen auf die kuratorische Praxis:
- von auratischen Werkobjekten und symbolischen Repräsentationen zu offenen und dynamischen Handlungsfeldern, zur n-dimensionierten „Arena des Handelns" 18
- vom idealtypischen, auf (s)ein Auge reduzierten Rezipiententypus 19 zum involvierten Teilnehmer, Akteur und Mitschöpfer
- vom geschlossenen White Cube, dessen Redundanzerhöhungen und Iterationsschleifen zu synergetischen Konvergenzformaten und nichtlinearen Praxismodellen.

Birte Kleine-Benne, Weiterführendes: Dissertation Kunst als Handlungsfeld, online: http://www.KunstAlsHandlungsfeld.net


Anmerkungen:

1 Broeckmann, Andreas 2002: Konnektive entwerfen! Minoritäre Medien und vernetzte Kunstpraxis, in: Münker, Stefan/Roesler, Alexander (Hg.) 2002: Praxis Internet, Kulturtechniken der vernetzten Welt, Frankfurt/Main, S. 241. Zu dem Begriff der Maschine vgl. Guattari 1995.

2 Baecker, Dirk 2002: Wozu Systeme?, Berlin, S. 39.

3 Zur Evolution der Kommunikationsmedien vgl. Merten, Klaus 1999: Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Band 1/1: Grundlagen der Kommunikationswissenschaft, Münster. Zu Differenzierungen des Netzes als Medium in 1. das Netz als technische Infrastruktur, 2. als topischer Ort, 3. als Transportweg/Kanal vgl. Weber, Stefan 2001: Medien - Systeme - Netze, Elemente einer Theorie der Cyber-Netzwerke, Bielefeld, S. 34.

4 Weber 2001, a.a.O., S. 24.

5 Weber (Jhg. 1970) ist Medienepistemologe mit den Forschungsschwerpunkten Medienphilosophie und Konstruktivismus.

6 Weber 2001, a.a.O., S. 91.

7 Bourriaud, Nicolas 1995: Das ästhetische Paradigma, in: Schmidgen, Henning (Hg.) 1995: Ästhetik und Maschinismus, Texte zu und von Félix Guattari, Berlin, S. 59.

8 Bourriaud 1995, a.a.O., S. 59.

9 Die Ars Electronica 2003 untersuchte unter der Themenstellung 'Code - The Language of our Time' den Einfluss von digitalen Codes auf die Kunst und Gesellschaft. Die drei Themenkreise - Code=Law, Code=Art, Code=Life - bildeten dabei den Rahmen für Fragestellungen nach der gesellschaftsregulierende und -normierende Macht von Computerprogrammen und ihren Standards implementierten Strukturen und Spielregeln, http://www.aec.at/en/festival2003/index.asp .

10 Zu urheberrechtlichen Folgen vgl. u.a. Grassmuck, Volker 2002: Urheberrechte im Netz, in: Münker/Roesler (Hg.) 2002, a.a.O.

11 Schiesser, Giaco 1999: Kategorisierung von Netzkunst - exemplarische Beispiele, http://www.xcult.ch/texte/schiesser/netzkunst.html , in Bezug auf Huber, Hans Dieter 1998: Zur Geschichte der Netz.Kunst. Problemstellungen, Stand der Dinge, Ausblicke, http://www.hgb-leipzig.de/artnine/netzkunst/geschichte .

12 Arns (Jhg. 1968) ist Autorin und Kuratorin mit den Schwerpunkten Medienkunst und Netzkulturen, seit 2005 künstlerische Leiterin des Hartware MedienKunstVereins in Dortmund.

13 Zum Begriff der taktischen Medien (Tactical Media), der sich von den sog. mainstream-Medien abgrenzt und die aktive Nutzung sog. do-it-yourself-Medien betont vgl. Lovink, Geert/Garcia, David 1997: The ABC of Tactical Media, in: Nettime, 16.05.1997, http://amsterdam.nettime.org/Lists-Archives/nettime-l-9705/msg00096.html . Au§erdem Arns, Inke 2002 a: This is not a toy war: Politischer Aktivismus in Zeiten des Internet, in: Münker/Roesler (Hg.) 2002, a.a.O., S 38.

14 Arns, Inke 2002 b: Netzkulturen, Hamburg, S. 8.

15 Arns 2002 b, a.a.O., S. 40.

16 Schmidt, Siegfried J. 1999: Kunst als Konstruktion: Konstruktivistische Beobachtungen, in: Weber, Stefan (Hg.) 1999: Was konstruiert Kunst?, Wien, S. 40.

17 Weber 2001, a.a.O., S. 39.

18 Weibel, Peter 1999: Neue Akteure und Allianzen der Kunst im 21. Jahrhundert, in: art - Das Kunstmagazin, 12/99, S. 44.

19 Bei dem idealtypischen Rezipienten handelt es sich um einen eliminierten, gesichtslosen, männlichen, selbstvergessenen und distanzierten Rezipienten, der im Idealfall seines Körpers beraubt und in seinen Wahrnehmungen eingeschränkt ist. O'Doherty, Brian 1996: In der weißen Zelle, Inside the White Cube, hg. von Kemp, Wolfgang, Berlin, S. 39ff.


bio:

Birte Kleine-Benne

Jhg. 1970
Kunstwissenschaftlerin, Zukunftsforscherin
M.A. Kunstgeschichte, Philosophie, Neuere deutsche Literatur, Promotion Kunstwissenschaft: Kunst als Handlungsfeld, Universität Hamburg

Aktuelle Tätigkeitsfelder & Themen:
Exploration von Matrizen mittels der affektuellen, perzeptiven, konzeptuellen und (de-) konstruktivistischen Qualitäten von Kunst
Entwurf und Entwicklung neuer Wahrnehmungs- und Handlungsmodelle und deren Einführung als Kulturtechniken und -verfahren.
Vorstandstätigkeiten (artlabor e.V., who's afraid of on.), Gründungen und Gründungsbeteiligungen (eyes2k, geheimrat.com )

born in 1970
Scientist of art, Futurist
M.A. history of art, philosophy, new german literature, PhD-thesis art-theory: Kunst als Handlungsfeld, University Hamburg

Current fields of activity and current topics:
Exploration of matrices by means of affectual, perceptual, conceptual and (de)constructivist qualities of art
Outline and development of new models of perception and action as well as their introduction into cultural techniques and procedures.


linx:

mailto: bkbATeyes2k.net
http://www.bkb.eyes2k.net



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